Nicht praxistauglich

ver.di trägt Empfehlungen zu Aufgabenprofilen hochschulisch qualifizierter Pflegefachpersonen nicht mit. Abwertung der beruflichen Ausbildung droht.
17.10.2023

Was genau sollen studierte Pflegekräfte in der Praxis tun? »Diese Frage hätte man eigentlich klären sollen, bevor die entsprechenden Studiengänge nach dem Pflegeberufegesetz eingeführt wurden«, findet Delphine Pommier, die sich bei ver.di mit dem Thema befasst. »Für ein attraktives Pflegestudium braucht es neben guten Ausbildungsbedingungen klare Berufsperspektiven.« Deshalb engagiert sich ver.di von Beginn an in der im Rahmen der »Ausbildungsoffensive Pflege« gebildeten Arbeitsgruppe, die Empfehlungen für die Aufgabenprofile hochschulisch qualifizierter Pflegefachpersonen entwickeln soll. Doch deren, am 17. Oktober 2023 vorgestellten Ergebnisse helfen aus ver.di-Sicht nicht, eine gute Zusammenarbeit aller Pflegekräfte im Sinne der bestmöglichen Versorgungsqualität zu erreichen. ver.di trägt die Empfehlungen daher nicht mit und hat eine eigene Stellungnahme veröffentlicht.

 

»Wir brauchen mehr hochschulisch ausgebildete Pflegepersonen – und diese brauchen Klarheit, zu welchen Tätigkeiten ihr Studium qualifiziert«, erklärt Pommier. »Grundfalsch wäre es, hochschulisch und beruflich ausgebildete Pflegekräfte in Konkurrenz zueinander zu setzen. Die gesamte Berufsgruppe muss aufgewertet werden.« Folgen die Einrichtungen den Empfehlungen der Arbeitsgruppe, droht jedoch eine Abwertung von Pflegenden mit dreijähriger Berufsausbildung. Denn sogenannte hochkomplexe Tätigkeiten sollen perspektivisch von den hochschulisch ausgebildeten Pflegepersonen übernommen werden. »In den Kliniken und in der ambulanten und stationären Pflege erbringen examinierte und fachweitergebildete Pflegekräfte heute alltäglich hochkomplexe Tätigkeiten. Hier haben wir kein Qualitätsproblem«, betont die ver.di-Expertin. »Beruflich qualifizierte Pflegepersonen aus diesen Tätigkeiten zu drängen, nur um für hochschulisch ausgebildete Pflegekräfte ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen, entspricht nicht den Anforderungen und leistet keinen Beitrag zur Verbesserung der Versorgungsqualität. Stattdessen braucht es schlüssige Aufgabenprofile, die sich gut ergänzen«

In ver.di engagierte Pflegepersonen unterschiedlicher Qualifikationsniveaus und Branchen haben sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und gemeinsame Positionen entwickelt. »Alle haben in einer sehr fruchtbaren Debatte ihre Expertise und Sichtweise eingebracht«, berichtet Pommier. »Gemeinsam sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es in der direkten Pflege keine überzeugenden unterschiedlichen Aufgabenfelder von beruflich und hochschulisch qualifizierten Pflegefachpersonen gibt.« Die hochschulisch ausgebildeten Pflegefachpersonen könnten genauso wie die beruflich Ausgebildeten in der direkten Versorgung arbeiten. »Zusätzlich schafft das Bachelorstudium die Grundlage für eine weitere wissenschaftliche Qualifizierung. Viele haben sich schon bisher für ein Masterstudium entschieden, das weitere Perspektiven eröffnet.« Die Empfehlungen der Arbeitsgruppe halten die ver.di-Aktiven daher für nicht praxistauglich. »Das dürfte auch daran liegen, dass die berufliche Praxis in der Arbeitsgruppe kaum vertreten war.« Auch die großen Arbeitgeberverbände fehlten.

»Der Einsatz hochschulisch ausgebildeter Kolleg*innen kann in der Praxis absolut bereichernd sein«, meint Wibke Barbian, Lehrerin für Pflege und Gesundheit und Mitglied des ver.di Bundesarbeitskreises Pflegelehrer*innen. »Wenn sie neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die Pflegeteams tragen und ihre praktischen Erfahrungen wiederum wissenschaftlich nutzbar machen, ist das in beide Richtungen ein Gewinn.« Dies würde die beruflich Pflegenden nicht in Konkurrenz zueinander setzen, sondern die Teams stärken. »Maßstab muss sein, was die pflegerische Versorgung verbessert. Die praxisferne Unterscheidung zwischen hoch- und weniger komplexen Tätigkeiten hilft nicht weiter«, betont Barbian. »Wir wollen, dass die hochschulisch qualifizierten Pflegekräfte in der Praxis gut ankommen. Es braucht eine breite Akzeptanz und ein gutes Mit- und Nebeneinander in der Pflege. Dafür müssen die Weichen jetzt richtig gestellt werden.« 

 
Klara Ronellenfitsch Klara Ronellenfitsch hat am Uniklinikum Mannheim eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und danach berufsbegleitend ein Studium in angewandte Pflegewissenschaft an der DHBW Stuttgart absolviert.

»Um die evidenzbasierte Pflege zu stärken, ist das Pflegestudium absolut sinnvoll. Voraussetzung dafür ist, dass wissenschaftlichen Kompetenzen im Studium ausreichend vermittelt werden. Ein Bachelor-Studium kann dafür eine gute Grundlage bieten, auch für eine weitere Qualifizierung auf Masterniveau. Als studierte Pflegefachpersonen können wir dabei helfen, den Transfer von Wissenschaft und Praxis zu befördern – in beide Richtungen. Dabei geht es aber nicht darum, dass die einen nur Konzepte schreiben und den anderen sagen, was sie tun sollen. Eine solche Arbeitsteilung wäre weder gut für die Zusammenarbeit auf den Stationen noch für die Attraktivität der Berufe.

Gut finde ich, dass das Pflegestudium als duales Studium mit großen Praxisanteilen konzipiert werden soll. Dafür hat sich ver.di erfolgreich eingesetzt. Denn ein Theoriestudium ohne intensiven Praxisbezug wäre nicht hilfreich. Ich selbst habe vier Jahre berufsbegleitend studiert und musste meine Arbeitszeit dafür reduzieren. Ich finde, die Arbeitgeber sollten Beschäftigte, die berufsbegleitend studieren, dafür von der Arbeit freistellen. Schließlich profitieren sie davon, wenn wir uns Expertise und wissenschaftliche Methoden aneignen. Wichtig ist zudem die Durchlässigkeit: Alle Pflegefachpersonen sollten die Möglichkeit haben, sich im Beruf weiterzuentwickeln und nebenher zu studieren.«

 
Silke Präfke Die Krankenschwester Silke Präfke arbeitet im Bundeswehr-Zentralkrankenhaus Koblenz und absolviert derzeit den Weiterbildungs-Studiengang »Arbeit – Beratung – Organisation« an der Uni Bremen.

»Das Kriterium „hochkomplexe Pflegeprozesse“ taugt nicht zur Abgrenzung der Tätigkeiten von hochschulisch und beruflich ausgebildeten Pflegefachpersonen. Es ist überhaupt nicht trennscharf: Welche Prozesse sind hochkomplex, welche nicht? Auch als Pflegeperson mit dreijähriger Berufsausbildung muss ich in der Lage sein, hochkomplexe Prozesse eigenverantwortlich zu begleiten. Das machen wir Examinierten tagaus, tagein. Wichtig ist, dass die Pflege ein ganzheitlicher Prozess ist. Direkt am Patienten kann ich beobachten, fühlen, riechen – das ersetzt keine Hilfskraft und auch keine Maschine. Deshalb ist es grundfalsch, wenn Planung und Durchführung der Pflege bei unterschiedlichen Personen liegt. Bereichernd und absolut sinnvoll ist es hingegen, wenn studierte Kolleg*innen ihre wissenschaftliche Expertise ins Team einbringen. Die Standards und Methoden in der Pflege ändern sich ständig. Deshalb brauchen alle regelmäßig Fortbildungen. Zusätzlich können hochschulisch ausgebildete Pflegefachpersonen helfen, wissenschaftliche Erkenntnisse in der Praxis zu verankern und praktischen Erfahrungen wiederum in den Forschungsprozess einzuspeisen. Das wäre hervorragend.«

 
Franziska Aurich Franziska Aurich hat an der Uniklinik Ulm eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin gemacht und ausbildungsbegleitend ein Studium in angewandte Pflegewissenschaft an der DHBW Stuttgart absolviert. Jetzt arbeitet sie an der Berliner Charité.

»Eigentlich sollte man erst fragen, bei welchen Tätigkeiten in der Praxis Handlungsbedarf besteht, und dann entsprechende Qualifikationen dafür schaffen. Stattdessen hat man mit dem Pflegestudium erst einen Abschluss etabliert und sucht nun für die Absolvent*innen nach Tätigkeitsprofilen. EU-weit wird die dreijährige Pflegeausbildung auf dem Niveau eines Bachelorabschlusses anerkannt. Das zeigt, wie qualitativ hochwertig die berufliche Pflegeausbildung in Deutschland ist. Mich ärgert, dass die Bundesregierung nicht versucht, auch dieser mehr Anerkennung zu verschaffen. Stattdessen hat sie zwei verschiedene Abschlüsse geschaffen. Wenn die Aufwertung der einen Gruppe auf Kosten der anderen geht, führt das zu einer unguten Konkurrenz.

Immerhin soll im Pflegestudium nun eine Vergütung festgeschrieben werden, wofür ver.di von Anfang an geworben hat. Das und klare Tätigkeitsprofile, die auf die im Studium erworbenen wissenschaftlichen Kompetenzen fokussieren, können die Attraktivität erhöhen. Aber auch bei der beruflichen Ausbildung braucht es Verbesserungen: Verpflichtende Praxisbegleitung, konsequente Betreuung auch während der Einsätze in der Langzeitpflege und tatsächlich mindestens zehn Prozent strukturierte und geplante Praxisanleitung – besser noch 30 Prozent – würden die Pflege insgesamt stärken.«

 
Birgit Onori Birgit Onori ist Krankenschwester und Betriebsrätin am Helios- Klinikum Niederberg in Nordrhein-Westfalen.

»Alle Pflegefachpersonen müssen eigenverantwortlich Entscheidungen treffen können. Wenn sogenannte herausgehobene Tätigkeiten aber hochschulisch ausgebildeten Pflegepersonen vorbehalten sind, wird eine zusätzliche Hierarchieebene eingebaut. Das schafft unnötige Schnittstellen und erhöht den Kommunikationsaufwand. Wenn Informationen nicht richtig übermittelt werden, kann das gravierende Folgen für die Behandlungsqualität haben. Jetzt kann ich die Behandlung im Pflegeprozess jederzeit anpassen. Das geht nicht mehr, wenn Durchführung und Planung von verschiedenen Personen gemacht werden. Die Pflege funktioniert am besten als ganzheitlicher Prozess. Und die Arbeit der beruflich Pflegenden muss insgesamt aufgewertet werden. Das darf sich nicht auf diejenigen mit Studium beschränken. Das Gros der beruflich Pflegenden würde durch die vorgeschlagene Arbeitsteilung abgewertet und womöglich auch schlechter bezahlt. Das würde der Attraktivität des Pflegeberufs schaden. Das Gegenteil ist nötig.«

 

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