Seit gut einem Jahr wird nach dem neuen Pflegeberufegesetz ausgebildet. Das 2017 beschlossene Gesetz zieht weitreichende Veränderungen nach sich, deren Auswirkungen noch nicht vollständig abzusehen sind. Eine von ver.di initiierte Blitzumfrage, an der sich über 100 Interessenvertreter*innen beteiligt haben, liefert erste Hinweise. Die nicht repräsentativen Ergebnisse zeigen einige positive Entwicklungen, legen allerdings auch Schwachstellen offen, die rasch behoben werden müssen.
»Entscheidend ist, dass Pflegepersonen eine gute Ausbildung erhalten und dauerhaft im Beruf bleiben.«
»Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie dringend sich die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern müssen – und das geht nur mit mehr gut qualifiziertem Personal«, erklärt Matthias Venz, Jugendkoordinator im ver.di-Fachbereich Gesundheit und Soziales. »Ein wichtiger Baustein zur Fachkräftesicherung ist die Erhöhung der Ausbildungszahlen.« In der Altenpflege hat sich in dieser Hinsicht einiges getan. Hier ist die Zahl der Auszubildenden – anders als in der Gesundheits- und Krankenpflege – in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Doch angesichts der demografischen Entwicklung erhöht sich zugleich auch der Arbeitskräftebedarf weiter. »Neben mehr Ausbildungsstellen braucht es vor allem bessere Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen«, betont Venz. »Entscheidend ist, dass Pflegepersonen eine gute Ausbildung erhalten und dauerhaft im Beruf bleiben.«
Die neue Pflegeausbildung stellt einen Kompromiss zwischen Generalistik und Spezialisierung dar. In den ersten zwei Jahren findet diese für alle Pflegeberufe gemeinsam statt. Im dritten Jahr können die Auszubildenden sie generalistisch fortführen oder sich für eine Spezialisierung zur Altenpfleger*in oder Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*in entscheiden. Viel wird davon abhängen, ob die Ausbildungszahlen mit der Reform deutlich und dauerhaft gesteigert werden können. Und davon, ob die hohe Anteil der Ausbildungsabbrüche reduziert werden kann. Spannend wird zudem, wie viele Auszubildende sich für die spezialisierten Abschlüsse entscheiden.
Die Befragung liefert einige, allerdings nicht repräsentative Hinweise zur Ausbildungsentwicklung. So gibt knapp ein Drittel der Interessenvertretungen an, die Ausbildungszahlen hätten leicht zugenommen. In etwa 15 Prozent der Einrichtungen lag die Steigerung demnach bei über zehn Prozent. »Es ist gut, dass in einem Teil der Betriebe mehr ausgebildet wird«, bilanziert Venz. »Allerdings ist das nicht flächendeckend der Fall: In 30 Prozent der Betriebe sind die Ausbildungszahlen gleich geblieben, in 15 Prozent sogar gesunken. Das ist bedenklich.«
Der Lehrer für Pflegeberufe und Gesamtbetriebsratsvorsitzende der DRK Krankenhaus GmbH Rheinland-Pfalz, Eberhard Bruch, hatte kürzlich davor gewarnt, dass es insbesondere in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu Problemen kommen könnte, da zumindest in seinem Bundesland nur wenige Schulen diese Spezialisierung anböten. Die Befragung zeigt, dass in diesem Bereich auch die größten Schwierigkeiten in Bezug auf außerbetriebliche Pflichteinsätze bestehen. Ein vergleichsweise großer Teil der Interessenvertretungen gibt an, dass es in der Pädiatrie an externen Partnereinrichtungen mangele. Andere gehen hingegen davon aus, dass genug Kooperationsunternehmen für alle Auszubildenden zur Verfügung stehen. In einigen Bundesländern deckt sich diese Einschätzung mit den offiziellen Angaben. Andere Länder melden hingegen große Schwierigkeiten in der Gestaltung von Kooperationsvereinbarungen – Schwierigkeiten, die dazu führen könnten, dass die generalistisch ausgebildeten Auszubildenden aus einzelnen Teilbereichen nicht viel mitnehmen können.
Venz hält es für wichtig, dass den Auszubildenden die Interessenvertretung auch während der Einsätze außerhalb des eigenen Betriebs als Ansprechpartnerin zur Verfügung steht. In den Kooperationsverträgen müsse deshalb unter anderem ein Zugangsrecht für die Beschäftigten- und Jugendvertretungen verankert werden. Die Mitbestimmung spiele auch in Bezug auf die Praxisanleitung im eigenen Betrieb eine wichtige Rolle, betont der Gewerkschafter. »Per Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung sollten Standards für die Ausbildungsqualität festgeschrieben werden.« So könnten zum Beispiel unplanmäßige Versetzungen (»Stations-Hopping«) unterbunden und die Durchführung der gesetzlich vorgeschriebenen Praxisanleitung konkret definiert werden.
Diese findet noch längst nicht überall geplant und strukturiert statt. Und auch die neue Vorschrift, dass mindestens zehn Prozent der Einsatzzeit für Praxisanleitung durch dafür qualifizierte Anleiter*innen erfolgen muss, wird offenbar nicht in allen Einrichtungen eingehalten. So geben fast 40 Prozent der Befragten an, der Anteil von zehn Prozent werde »nur auf dem Papier erreicht, in der Realität nicht«. ver.di habe sich im Gesetzgebungsprozess erfolgreich für einen Mindestumfang von Praxisanleitung eingesetzt, sagt Venz. »Nun muss sie in der Praxis auch flächendeckend umgesetzt werden – sowohl in geplanter Form als auch in alltäglichen Lernsituationen. Denn eine gute Praxisanleitung ist entscheidend für eine hohe Ausbildungsqualität.« Problematisch sei vor diesem Hintergrund, dass laut Befragung nur jede fünfte Einrichtung genug Praxisanleiter*innen habe. Dass knapp 60 Prozent der Interessenvertretungen davon berichten, es würden aktuell mehr Praxisanleiter*innen ausgebildet, sei zu begrüßen, aber nicht ausreichend. Venz appelliert an die Betriebsräte, ihr Vorschlagsrecht für die Teilnehmenden an Fortbildungsmaßnahmen nach § 98 Betriebsverfassungsgesetz zu nutzen. Ähnliche Möglichkeiten hätten auch Personalräte im öffentlichen Dienst und Mitarbeitervertretungen in kirchlichen Betrieben.
»Mitbestimmen, mitbestimmen, mitbestimmen«, so Venz´ Credo. Das gelte auch für die Ausbildungspläne, die laut Befragung nur von jeder vierten Interessenvertretung mitbestimmt werden. »Hier können Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen Einfluss nehmen, um die Ausbildung so sinnvoll wie möglich zu gestalten. Das sollten sie nutzen«, betont er. Die Ausbildungspläne, die seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes bereits vor Ausbildungsbeginn vollständig vorliegen müssen, seien für die Auszubildenden eine wichtige Orientierung. In über einem Drittel der Betriebe sind die Pläne nach Einschätzung der Befragten zwar inhaltlich in Ordnung, lägen aber nicht für die komplette Ausbildung vor. »Auch hier besteht also noch Luft nach oben«, sagt Venz und kündigt an: »Wir werden die Umsetzung des Pflegeberufegesetzes weiter intensiv begleiten und Verbesserungspotenzial benennen.«
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