Starker Auftakt für die nächste Etappe in der Auseinandersetzung um einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte an Hochschulen: Vom 24. bis 26. Februar 2023 diskutierten rund 250 Aktivist*innen aus dem ganzen Bundesgebiet in Göttingen über die nächsten Schritte in der Bewegung für einen »TVStud«. »Das war richtig groß und alle waren übelst motiviert«, berichtet Karl Wolff aus Darmstadt. »Es steckt super viel Energie in dem Thema. Wann, wenn nicht jetzt, haben wir die Chance, endlich einen Tarifvertrag für uns durchzusetzen?«
Entsprechend war das Motto der von ver.di, GEW und der bundesweiten TVStud-Vernetzung gemeinsam mit Studierendenvertretungen und politischen Hochschulgruppen organisierten Konferenz gewählt: »Jetzt oder nie!« Die Rahmenbedingungen seien aktuell günstig, so der Tenor. Die vielen Aktivitäten der vergangenen zwei Jahre, in denen sich an etlichen Hochschulen TVStud-Initiativen gründeten, haben die gesellschaftlichen und politischen Debatten zur Situation studentischer Beschäftigter befördert. »Es steht zehn zu sechs«, bringt Karl Wolff die Entwicklung auf den Punkt: In 10 von 16 Bundesländern haben sich die Regierungsparteien für den TVStud ausgesprochen. Bei der im Herbst anstehenden Tarifrunde haben sie die Gelegenheit, ihre Versprechen einzulösen.
Den in Göttingen versammelten Aktivist*innen ist allerdings klar, dass noch viel Druck nötig ist, um die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) zu Zugeständnissen zu bewegen. Bislang lehnt der Arbeitgeberverband Tarifverträge für studentische Beschäftigte kategorisch ab und untersagt auch einzelnen Bundesländern, darüber mit ver.di zu verhandeln. »Unser Ziel ist es, den TVStud in der Länder-Tarifrunde im Herbst auf die Agenda zu setzen«, erklärt Laura Six, die als wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni Hamburg arbeitet. Als Mitglied der ver.di-Bundesjugendtarifkommission für den öffentlichen Dienst betont sie aber auch: »Voraussetzung ist, dass wir uns an den Hochschulen stark aufstellen und uns als Beschäftigte organisieren.«
Die Göttinger Konferenz war hierfür ein wichtiger Schritt. Denn neben den politischen Debatten ging es in einer Vielzahl von Workshops ganz praktisch darum, wie die Organisierung vorangetrieben werden kann. In kleinen Gruppen übten sich die Teilnehmenden in Methoden des »Organizing« – der systematischen Ansprache und Organisierung von Beschäftigten. In den kommenden Monaten soll an allen Hochschulen ein Gesprächsbogen zum Einsatz kommen, mit dem studentische Beschäftigte zum einen nach ihren Bedürfnissen und Forderungen gefragt und zum anderen zu eigenem Engagement aufgefordert werden. »Wir kriegen den TVStud nicht geschenkt, wir müssen ihn uns erkämpfen«, ist Laura Six überzeugt. »Und das heißt: Wir müssen streikfähig sein.«
Hierfür gibt es nicht wenige Hürden, mit denen sich die Teilnehmer*innen der Konferenz intensiv auseinandersetzten. So haben viele studentische Beschäftigte keine festen Arbeitszeiten und sehr kurze Vertragslaufzeiten. Darüber hinaus sind sie in mehrfacher Hinsicht abhängig von den Professor*innen, für die sie arbeiten und die zugleich ihre Prüfungsleistungen und Abschlussarbeiten benoten. »Das erschwert es, von unserem Streikrecht Gebrauch zu machen«, gibt Laura Six zu bedenken. »Aber fest steht: Wenn wir uns organisieren und dieses Recht nutzen, können wir den Universitätsbetrieb massiv stören und vieles lahmlegen.«
Um sich für die Auseinandersetzung fit zu machen, beschäftigten sich die Teilnehmer*innen der Konferenz auch mit den Erfahrungen vergangener Kämpfe. So berichtete der ehemalige Bereichsleiter in der ver.di-Bundesverwaltung, Niko Stumpfögger, über die erfolgreiche Tarifbewegung in den 1980er-Jahren in Berlin. Dies ist bis heute das einzige Bundesland, in dem studentische Beschäftigte durch einen Tarifvertrag geschützt sind. Noch weiter zurück ging der Marburger Politologe Frank Deppe, der von der Bewegung der Assistent*innen an Hochschulen in den 1970ern berichtete. Er machte auch deutlich, wie wichtig die Organisierung an den Hochschulen für die Gewerkschaften ist. 2020 begannen erstmals mehr junge Menschen ein Studium als eine betriebliche Ausbildung. Diese künftigen Beschäftigten anzusprechen, sei für die Zukunft der Gewerkschaften essenziell.
Seit den 1970er und 80er-Jahren hat sich viel verändert. Der Neoliberalismus hat auch und gerade an den Universitäten Spuren hinterlassen, worauf u.a. der Soziologie-Professor Tilman Reitz von der Uni Jena hinwies. So hat die prekäre Beschäftigung massiv zugenommen. Drittmittelprojekte und »Exzellenzinitiativen« haben die Konkurrenz verschärft, zugleich blieben die quasi-feudalen Hierarchien mit der großen Macht der Professor*innen weitgehend bestehen. All das erschwert die gewerkschaftliche Selbstorganisation. Doch es tut sich was. »Ich nehme wahr, dass sich die gesellschaftliche Stimmung ändert«, meint Heidi Heil von der TVStud-Initiative in Hamburg. Nach Jahrzehnten neoliberaler Politik gebe es in der aktuellen Krise wieder mehr Arbeitskämpfe, ob im öffentlichen Dienst, bei der Post oder anderswo. »Hier wollen wir mit unserer Bewegung ansetzen, uns vernetzen und voneinander lernen.«
Wie groß die Solidarität mit anderen Beschäftigtengruppen ist, zeigte sich bei einem Auftritt einer Kollegin der Servicegesellschaft der Göttinger Uniklinik, die seit Wochen immer wieder für Lohnerhöhungen und die Angleichung der Gehälter an den Tarifvertrag der Länder streiken. Auch mit sozialen Bewegungen wie der Klimabewegung können sich die TVStud-Aktiven eine Zusammenarbeit vorstellen, um verschiedene gesellschaftliche Kämpfe zusammenzubringen.
Dabei geht es auch um Demokratie und Selbstbestimmung. Immer noch gelten studentische Beschäftigte in den Hochschulen als »Sachmittel«, eine betriebliche Interessenvertretung gibt es in den meisten Bundesländern nicht. Auch hier sind die Berliner Hochschulen das Vorbild: Dort werden studentische Beschäftigte durch eigene Personalräte vertreten. In Nordrhein-Westfalen und Thüringen bestehen zwar ebenfalls Interessenvertretungen, die jedoch keine vergleichbaren Rechte haben. »Ergebnis dieser Debatte war ganz klar: Wir brauchen Mitbestimmungsrechte wie andere Beschäftigte auch«, so Heidi Heil. Dass diese einen großen Unterschied machen, hat die jüngst veröffentlichte Befragung »Jung, akademisch, prekär« gezeigt, an der sich bundesweit rund 11.000 studentische Beschäftigte beteiligten. Demnach kommt es ohne Mitbestimmung deutlich häufiger zu Verstößen gegen das Arbeitsrecht als in Berlin, zum Beispiel beim Urlaub oder der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Die vom Institut für Arbeit und Wirtschaft (iaw) in Kooperation mit ver.di, GEW und der bundesweiten TVStud-Vernetzung durchgeführte Studie liefert viele weitere Argumente für Mitbestimmung, Mindestvertragslaufzeiten und einen Tarifvertrag. Sie hat dazu beigetragen das Ausmaß der Missstände sichtbar zu machen und eine breitere Öffentlichkeit für die Themen zu sensibilisieren. Diese Aufmerksamkeit wollen die Aktiven nutzen und den Arbeitgebern in der nächsten Tarifrunde eine Zusage zu Verhandlungen über einen TVStud abringen. Ob die Forderung nach einem Tarifvertrag für studentische Beschäftigte aufgestellt wird, entscheidet die ehrenamtliche ver.di-Bundestarifkommission im Juni. Bis dahin gilt es an den Hochschulen, weiter Stärke aufzubauen. Die Göttinger Konferenz hat dafür einen wichtigen Motivationsschub geliefert.
veröffentlicht/aktualisiert am 28. Februar 2023