»Historische Chance«

Endlich einen Tarifvertrag »durchboxen«: Die TVStud-Initiativen bereiten sich systematisch auf die Tarifrunde der Länder im Herbst vor.
12.06.2023

»Was seid ihr bereit zu tun?« Wenn Francine Poschmann auf dem Campus der Uni Essen mit dem Fragebogen unterwegs ist, kreuzen bei dieser Frage die allermeisten an: »Selber aktiv werden.« Oder: »Streiken.« Schließlich sei allen klar, dass ein Tarifvertrag für studentische Beschäftigte – kurz TVStud – nicht vom Himmel fällt, erklärt die Aktivistin. »Fast alle sind bereit, dafür etwas zu tun.« Und die Chancen stehen gut, dass endlich etwas passiert. Sehr gut sogar, meint Marvin Hopp, aktiv bei der Initiative TVStud in Hamburg. Seit den 1980er Jahren kämpften studentische Beschäftigte dafür. »Jetzt haben wir die historische Chance, tatsächlich einen Tarifvertrag durchzuboxen.«

 
Aktionen für den TVStud in Hamburg

Seit Monaten bereitet sich die Bewegung systematisch auf die Tarifrunde der Länder im Herbst 2023 vor. An einem Vernetzungstreffen im Frühjahr in Göttingen nahmen rund 250 Aktive teil, fünfmal so viele wie im Jahr zuvor. Gemeinsam stellten sie einen Fahrplan auf, machten Ansprachetrainings und planten Aktionen. Ziel ist, dass die Gewerkschaften die Forderung nach einem TVStud auf die Agenda der Tarifverhandlungen setzen. Voraussetzung dafür ist, dass sich viele studentische Beschäftigten an Hochschulen organisieren – und streikbereit sind. »Organizing« lautet das Zauberwort. Mit Erfolg. »Wir haben inzwischen eine viel breitere Basis«, berichtet Francine. Saßen sie vor ein paar Jahren noch zu zweit da, so zählt die TVStud-Initiative in Essen inzwischen einen festen Kern von rund 15 Aktiven.

Inzwischen gebe es an über 30 Hochschulen eigene Initiativen. Die Bewegung habe schon erste Erfolge erzielt, sagt Marvin. So hätten sich 11 von 16 Bundesländern klar für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter positioniert. Sechs Landesregierungen hätten sich in ihren Koalitionsverträgen für einen Tarifvertrag ausgesprochen. Und nicht zu vergessen: In der letzten Tarifrunde vor zwei Jahren konnten die Gewerkschaften der Tarifgemeinschaft deutscher Länder eine Zusage über eine »Bestandsaufnahme« zu den Arbeitsbedingungen der studentischen Beschäftigten abringen.

 
Aktionen für den TVStud in Bielefeld

Um keine Zeit zu verlieren, nahm die TVStud-Bewegung die sogenannte Bestandsaufnahme selbst in die Hand und startete eine Befragung: Über 11.000 studentische Beschäftigte beteiligten sich an der bundesweiten Onlineumfrage. Ihre Antworten zeigen, wie mies ihre Arbeitsbedingungen an den Hochschulen sind. Fast 40 Prozent geben an, jeden Monat unbezahlte Überstunden zu leisten und auf Urlaub zu verzichten. »Solche Ergebnisse können die Arbeitgeber nicht ignorieren«, meint Marvin.

Wie viel sich schon getan hat, bemerkt Francine jedes Mal, wenn sie mit ihrem Fragebogen auf dem Campus unterwegs ist. Bei der Tarifrunde vor zwei Jahren hätten viele mit dem Begriff »TVStud« wenig anfangen können, berichtet die 34-Jährige. Jetzt muss sie niemandem mehr erklären, dass sich die studentischen Beschäftigten an den Hochschulen von einem kurzen Arbeitsvertrag zum nächsten hangeln müssen – und in der Regel lediglich den gesetzlichen Mindestlohn erhalten. Klar ist: »Die allermeisten wollen die Arbeitsbedingungen so nicht mehr hinnehmen«, betont Francine. Deshalb bereiten sich die Aktiven jetzt schon intensiv auf ein Streiksemester im Winter vor.


Kathrin Hedtke

 

Broschüre: How to organize TVStud – Arbeitshilfe zur Organisierung studentischer Beschäftigter

Eine bundesweite Telegramgruppe vernetzt über 1000 Kolleg*innen.

Kontakt zu deiner lokalen TVStud-Initiative findest du hier.

 

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