Die Corona-Pandemie trifft Studierende, Promovierende und Beschäftigte in ihrer Existenz. Seit März 2020 sind Universitäten, Bibliotheken, Lernräume, Archive und Labore in ihrem Betrieb weitgehend eingeschränkt oder ganz geschlossen. Viele Arbeiten sind ins Home Office verlagert worden, Lehre findet nur noch digital statt. Praktika und andere Praxisübungen sind nur noch unter starker Einschränkung möglich, Nebenjobs sind tausendfach gekündigt worden.
Forschungsprojekte, Promotionen und andere Qualifizierungsvorhaben wurden und werden massiv beeinträchtigt. Viele geraten in Gefahr, dass ihre befristeten Verträge auslaufen, ohne dass sie ihr Qualifizierungsziel erreichen konnten. Die Corona-Pandemie kann daher das Aus für Studium und wissenschaftliche Arbeit von Tausenden bedeuten!
Und seit den ersten Hilfsmaßnahmen aus dem Sommer 2020 scheint das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Studierende, Promovierende und Beschäftigte der Hochschulen wieder vergessen zu haben. Die ohnehin nicht ausreichenden Maßnahmen laufen weitgehend in den nächsten Wochen und Monaten aus. Dabei ist ein Ende der Pandemie noch nicht absehbar und mindestens ein weiteres durch Corona geprägtes Semester so gut wie unausweichlich.
Aus diesem Grund fordern die ver.di Jugend und die Bundesarbeitsgruppen Studierende und Hochschulen im Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung Bildungsministerin Anja Karliczek dazu auf, die folgenden Schritte allumfassend und in der gebotenen Eile umzusetzen:
1. Finanzielle Hilfe in der Krise für Studierende – schnell und unbürokratisch!
Für die akute Situation muss für alle Studierenden, die kein BAföG erhalten können, oder falls die Förderung den Lebensunterhalt nicht deckt, ein neuer Notlagenfonds aufgelegt werden, der eine schnelle und unbürokratische Hilfe darstellt. Dafür braucht es ein unkompliziertes und langfristiges Bewilligungsverfahren statt immer neuen Anträgen von Monat zu Monat. Unterstützung muss mindestens in Höhe der Grundsicherung geleistet werden. Und die Studierenden brauchen Sicherheit: Mindestens bis Ende des Sommersemester 2021 und für alle von der Pandemie beeinträchtigten Semester danach.
2. Verlängerung von Stipendien für Studium und Promotion
Zahlreiche Studierende und Promovierende finanzieren sich über Stipendien. Sie sind in gleichem Maß wie alle anderen Hochschulangehörigen von der Krise betroffen. Daher fordern wir, dass Studien- und Promotionsstipendien generell um die Dauer der Pandemie verlängert werden. Insbesondere gilt das für Stipendiat*innen, die kurz vor der Fertigstellung ihrer Qualifizierungsarbeit stehen. Es ist zu erwarten, dass eine Vielzahl von Promotionen und Abschlussarbeiten kurz vor der Fertigstellung aufgrund äußerer Umstände abgebrochen werden müssen. Wir fordern das Bundesministerium für Bildung und Forschung auf, die Rahmenbedingungen für eine gesicherte Fortführung zu schaffen und seine Regularien entsprechend abzuändern. Im Sinne einer schnellen Hilfe und zur Vermeidung eines kaum handhabbaren Verwaltungsaufwands muss auf Einzelfallprüfungen verzichtet werden. Die erste Runde der Stipendienverlängerungen hat gezeigt, dass diese Einzelfallprüfungen sowohl für die Begabtenförderwerke als auch für die Stipendiat*innen unzumutbar waren. Die bisher vom BMBF versprochenen Mittel für Verlängerungen müssen zudem umgehend an die Förderwerke ausgegeben werden. Eine Befristung der Verlängerung auf sechs Monate ist bei der anhaltenden pandemischen Lage inakzeptabel.
3. Fristen der Hochschulen flexibel gestalten – so flexibel wie die Online-Lehre selbst
Ein normaler Semesterablauf ist trotz digitaler Lehre für eine Vielzahl der Lehrenden und Studierenden immer noch nicht möglich. Daher fordern wir eine bundeseinheitliche Regelung, die sicherstellt, dass das Corona-Semester nicht auf zeitliche Rahmensetzungen zum Nachteil der Studierenden angerechnet werden darf. Das betrifft vor allem die Regelstudienzeit, zeitliche Fristen zum Bestehen von Modulprüfungen, die BAföG-Höchstdauer oder eventuelle Grenzen für sogenannte “Langzeitstudierende”.
Gleichzeitig fordern wir, dass Prüfungs- und Abgabefristen bundesweit im Rahmen der pandemischen Lage verlängert werden, abgelegte Prüfungen sollten als Freiversuche gewertet werden. Das BMBF hat hierfür einheitliche Vorgaben an alle 16 Bundesländer zu machen.
4. Eine BAföG-Novelle – aber richtig!
Nach 50 Jahren BAföG gehört dieses endlich einer wirklichen Erneuerung unterzogen. Denn die letzten Jahre haben gezeigt, dass immer weniger Studierende überhaupt BAföG erhalten. Der Zugang zum BAföG muss radikal vereinfacht werden: Ein einfacher Nachweis von verringertem Einkommen (auch der Eltern) muss sich schnellstmöglich in der Förderung niederschlagen, für Neu- wie Aktualisierungsanträge. In der Krise muss der Ausschluss weiterer Teile der Studierende vom BAföG aufgehoben und die Förderung in einen Vollzuschuss umgewandelt werden. Freibeträge und Höchstsätze haben über Jahre nicht mit der Entwicklung der Lebenshaltungskosten Schritt gehalten und müssen deutlich angehoben werden. Und die Lebensrealität von Studierenden zeigt: Schon vor der Pandemie haben die wenigsten ihr Studium in der Regelstudienzeit geschafft. Die Förderungsdauer muss daher dauerhaft um zwei Semester angehoben werden. In die Reihe der individuellen Verlängerungsgründe für die Höchstdauer der Förderung ist es außerdem notwendig, gewerkschaftliches und gesellschaftspolitisches Engagement aufzunehmen. Weitere Details zu gewerkschaftlichen Forderungen an eine echte BAföG-Novelle hat außerdem der DGB zusammengefasst: https://www.dgb.de/-/vgo
5. Auslaufende Verträge verlängern – auch im Drittmittelbereich
Die Pandemie zeigt überdeutlich, wie prekär die Lage für Beschäftigte im deutschen Wissenschaftssystem ist. 9 von 10 Wissenschaftler*innen ohne Professur sind nur befristet beschäftigt. Auch bei den Beschäftigten im wissenschaftsunterstützenden Bereich sind Befristungen doppelt so häufig wie im Durchschnitt der Gesellschaft.
Während in anderen Bereichen richtigerweise große Anstrengungen unternommen werden, um Beschäftigung zu erhalten, laufen diese befristeten Verträge mitten in der Krise aus, mit völlig ungewisser Perspektive. Statt, wie bisher, als Reaktion nur die Befristungsmöglichkeiten für die Arbeitgeber im Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) zu erweitern, müssen auslaufende Verträge im Einvernehmen mit den Beschäftigten für die Dauer der Pandemie verlängert werden. Der Bund muss dafür die rechtlichen Voraussetzungen im WissZeitVG und die Länder nötigenfalls die finanziellen Voraussetzungen schaffen. Auch Drittmittelprojekte, die durch Corona eingeschränkt worden sind, müssen jenseits der Kostenneutralität verlängert werden. Hier muss der Bund als Forschungsförderer vorangehen. Das gilt soweit irgend möglich auch für Befristungen im wissenschaftsunterstützenden Bereich.
In der Krise wie danach ist ein leistungsfähiges, öffentliches Bildungs- und Wissenschaftssystem von entscheidender Bedeutung. Wer zulässt, dass prekäre Arbeits- und Studienbedingungen Hochschulen und Forschungseinrichtungen destabilisieren, setzt genau das aufs Spiel.
veröffentlich am 10. Februar 2021