ver.di nimmt Verteilungskampf an

22.03.2023

Konferenz des Bundesfachbereichs diskutiert zentrale Aufgaben: Sozialstaat verteidigen, Berufe im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen aufwerten, mehr Personal durchsetzen.

Der ver.di-Bundesfachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft blickte bei seiner Konferenz am 20. und 21. März 2023 in Berlin auf »extrem anspruchsvolle und komplizierte Jahre zurück«, wie Sylvia Bühler vom ver.di-Bundesvorstand in ihrem Rechenschaftsbericht erklärte. »Doch ich finde, wir haben uns gut geschlagen.« Auch während der Hochphasen der Pandemie habe ver.di es im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen geschafft, sichtbar und wirksam zu bleiben – sowohl in der Öffentlichkeit und gegenüber den politischen Entscheidungsträger*innen als auch in den Betrieben und der Tarifpolitik. Zugleich richteten die rund 260 Delegierten und Gäste den Blick auf aktuelle und künftige Herausforderungen – allen voran den laufenden Tarifkonflikt im öffentlichen Dienst.

In den kommenden Jahren werde es vor allem darum gehen, »den Sozialstaat zu verteidigen bzw. auszubauen«, erklärte Bühler. »Dazu gehören die Aufwertung der Berufe in unserem Fachbereich und eine deutlich bessere Personalausstattung. Das ist für mich der rote Faden.« An diesem Faden hat ver.di auch in den vergangenen Jahren intensiv gesponnen, zum Beispiel mit der Bewegung für bedarfsgerechte Personalvorgaben oder der Tarifbewegung zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe. Und geringer werden dürfte das Konfliktpotenzial mit Arbeitgebern und Politik nicht – im Gegenteil. »Man braucht keine Glaskugel, um zu wissen, dass es einen verschärften Verteilungskampf geben wird«, so die Gewerkschafterin.

 
Frank Werneke sprach zur derzeitigen Tarifbewegung

Werneke: Herausragend gute Tarifbewegung

Dass dieser bereits begonnen hat, zeigt sich aktuell im öffentlichen Dienst, wo Beschäftigte seit Wochen mit Warnstreiks für Lohnerhöhungen Druck machen, die die Preissteigerungen dauerhaft ausgleichen. Insbesondere für die Beschäftigten der unteren und mittleren Entgeltgruppen gehe es darum, die Kaufkraft zu sichern, betonte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Ein Knackpunkt der Tarifverhandlungen sei, »dass die Arbeitgeber jegliche soziale Komponente kategorisch ablehnen«. Neben einer Lohnerhöhung von 10,5 Prozent fordert ver.di einen Mindestbetrag von 500 Euro monatlich mehr, um vor allem die Situation derjenigen zu verbessern, die mit niedrigen Einkommen besonders von der Preisexplosion betroffen sind. Ohne einen ausreichenden Mindestbetrag werde es in der am 27. März beginnenden dritten Verhandlungsrunde kein Ergebnis geben, stellte Werneke klar. Sollten die Verhandlungen scheitern und ein Erzwingungsstreik notwendig werden, müssten dabei auch und gerade die Beschäftigten kommunaler Kliniken eine wichtige Rolle spielen.

»Es geht bei dieser Tarifrunde ums Geld – klar«, sagte er. »Aber es geht auch um Respekt und Anerkennung.« Die bisherige Beteiligung an den Warnstreiks sei »herausragend gut«. Das gelte auch für Beschäftigte freigemeinnütziger Träger, die sich wo immer möglich an den Aktionen beteiligten – »auch mutige Kolleginnen und Kollegen kirchlicher Einrichtungen«. Die vielen Aktivitäten im öffentlichen Dienst, aber auch bei der Post und anderswo haben zu einem deutlichen Mitgliederzuwachs geführt. Seit Jahresbeginn sind über 65.000 Menschen ver.di neu beigetreten. »Das ist die beste Mitgliederentwicklung unserer Geschichte«, bilanzierte Werneke. So könne es weitergehen.

 
Delegierte der Bundesfachbereichskonferenz

Internationale Solidarität

Der ver.di-Vorsitzende stellte die Tarifkonflikte in eine Reihe mit Arbeitskämpfen in anderen Ländern. So legten beispielsweise in Großbritannien Beschäftigte aus Kliniken, Rettungsdiensten, Universitäten und anderen Bereichen seit Wochen immer wieder die Arbeit nieder. Die konservative Regierung reagiere mit dem Versuch, das Streikrecht weiter einzuschränken. Auch in Deutschland mehrten sich die Stimmen aus Arbeitgeberverbänden und Teilen der Union, die das Grundrecht auf Streik beschränken wollen. »Jeder Angriff auf das Streikrecht ist ein Angriff auf die Demokratie – dem stellen wir uns mit aller Kraft entgegen«, betonte Werneke. ver.di stehe auch fest an der Seite der britischen Kolleginnen und Kollegen.

Dass die Solidarität in beide Richtungen geht, machte der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den öffentlichen Dienst (EGöD), Jan Willem Goudriaan, deutlich. So zum Beispiel im Fall von Orpea. Der skandalgeschüttelte Gesundheitskonzern aus Frankreich war monatelang gegen Betriebsräte in seiner Tochtergesellschaft Senioren Wohnpark Weser GmbH in Bremen vorgegangen. Mit Unterstützung der französischen Gewerkschaften und des EGöD sei es gelungen, dies zu unterbinden, berichtete Goudriaan. Das Verhalten von Orpea und anderer kommerzieller Unternehmen mache deutlich: »Gesundheit und Pflege sind öffentliche Aufgaben, die besser und billiger in öffentlicher Hand erbracht werden können«, so der Gewerkschafter. »Der EGöD setzt sich deshalb für die Rekommunalisierung bzw. die Verstaatlichung von Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge ein.«

Daniel Behruzi

 

  • Wahlen
    Sylvia Bühler Bundesfachbereichsleiterin und Mitglied im ver.di Bundesvorstand
    Pauline Kracht Neue stellvertretende Vorsitzende des Bundesfachbereichsvorstands
    Johannes Hermann Neuer Vorsitzender des Bundesfachbereichsvorstands

    Außerdem haben die Delegierten der Bundesfachbereichskonferenz Sylvia Bühler als Leiterin des Fachbereiches Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft für den ver.di-Bundesvorstand nominiert.

    Sie wählten zudem einen neuen ehrenamtlichen Vorstand, der auf seiner konstituierenden Sitzung Johannes Hermann aus Dresden zum Vorsitzenden und Pauline Kracht aus Hannover zur Stellvertretenden Vorsitzenden bestimmte.

     

 


veröffentlicht am 22. März 2023

 

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