Für die Aufwertung des Sozial- und Gesundheitswesens haben die Beschäftigten gemeinsam mit ver.di schon viel durchgesetzt. Doch das endgültige Ziel ist noch nicht erreicht. Das war der Tenor der fünften Bundesfachbereichskonferenz der Frauen »Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirche«. 100 Delegierte berieten am 1. und 2. Februar 2019 in Berlin, wie die Sozial- und Gesundheitsberufe endlich die Anerkennung erreichen können, die ihnen zusteht.
Juliane Seifert, Staatssekretärin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, eröffnete die Konferenz mit einem Grußwort. »Gutes Geld und gutes Image – darum geht es, wenn wir über die Aufwertung sozialer Berufe sprechen«, betonte die Staatssekretärin. Sie erläuterte, dass höhere Gehälter das Ansehen der Berufe erhöhen könnten und umgekehrt ein höheres Ansehen der Berufe im Gesundheits- und Sozialwesen auch ein Mehr an Gehalt befördern könne. Als Teil der Aufwertung sieht die Staatssekretärin auch die Verwendung anderer Berufsbezeichnungen. So plädierte sie dafür, von »Bildungs- und Gesundheitsberufen« zu sprechen, »wenn es um Erzieherinnen und Erzieher und Pflegefachkräfte geht«. Zugleich verwies Juliane Seifert auf eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2018, in der die Sozial- und Gesundheitsberufe als boomende Branche ausgewiesen werden. Als weiteren Aspekt der Aufwertung und mit Blick auf die Wertschöpfung forderte die Staatssekretärin die Gleichstellung dieser Berufe mit der Arbeit in klassischen männerdominierten Branchen. »In unserem verrechtlichten System mit vielen verschiedenen Zuständigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen stellt niemand die Weichen allein, aber ein gemeinsames Verständnis kann uns gemeinsam weitertragen«, sagte die Staatssekretärin.
Mit einer motivierenden Rede wandte sich dann Sylvia Bühler an die Konferenzteilnehmerinnen. »Wenn wir endlich erhalten, was uns zu steht, müssen wir uns nicht dafür bedanken«, betonte die Bundesfachbereichsleiterin. Deshalb sei das Motto »Nett war gestern – heute verschaffen wir uns Respekt« auch äußerst treffend für die Arbeit des Bundesfachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen. Was Frauen gemeinsam bewegen können, wenn sie sich zusammenschließen, zeige der Kampf um das Frauenwahlrecht. Die Entschlossenheit und das Selbstbewusstsein dieser Vorkämpferinnen seien auch für die aktuellen Herausforderungen das richtige Handwerkszeug.
»Wir müssen um die Rolle der Frauen in der Gesellschaft streiten und unsere demokratischen Errungenschaften verteidigen«, sagte Sylvia Bühler. Auch der Kampf gegen rechte Entwicklungen in unserer Gesellschaft sei täglich zu führen. Als Gewerkschafter*in gelte es Haltung zu zeigen. Hinsichtlich der Aufwertung der Sozial- und Gesundheitsberufe hob das ver.di-Bundesvorstandsmitglied die bisherigen Meilensteine hervor: Im Sozial- und Erziehungsdienst ist es in der Tarifauseinandersetzung gelungen, das Bild der Erzieher*innen neu zu definieren. Und die Forderung nach mehr Personal in den Krankenhäusern und der Altenpflege ist inzwischen bundesweit bekannt. »Das ist ein Erfolg unserer betrieblichen Aktivitäten«, so Sylvia Bühler. Des Weiteren hätten die Beschäftigten der betrieblich-schulischen Gesundheitsberufe Tarifgeschichte geschrieben, indem sie eine Ausbildungsvergütung im Bereich der Unikliniken und öffentlichen Krankenhäuser erstritten haben. »Auf diesen großartigen Leistungen werden wir uns dennoch nicht ausruhen. Wir lassen nicht locker, bis allen Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialwesen Respekt und Anerkennung entgegengebracht werden«, kündigte Sylvia Bühler an.
Auch Prof. Dr. Ute Klammer, Geschäftsführende Direktorin des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen, verdeutlichte, dass es in unserer Gesellschaft noch keine gleichen Verwirklichungschancen für Frauen und Männer gebe. »Als Indikator für eine fehlende Gleichstellung kann der Gender Pay Gap herangezogen werden«, so Ute Klammer. »Der durchschnittliche Bruttostundenverdienst erwerbstätiger Frauen war im Jahr 2015 um 21 Prozent geringer als der erwerbstätiger Männer – mit entsprechenden Auswirkungen auf die spätere Rente«. Hinzu komme, dass Frauen auch deutlich mehr unbezahlte Sorgearbeit übernehmen. So hätten Frauen im Jahr 2012 nach den erstmals im zweiten Gleichstellungsbericht für Deutschland berechneten „Gender Care Gap“ im Durchschnitt 52 Prozent mehr unbezahlte Care-Arbeit geleistet als Männer. Vor diesem Hintergrund sei es erforderlich, Erwerbs- und Sorgearbeit gleichzeitig neu zu gestalten. Ute Klammer verwies auf das von der Gleichstellungskommission propagierte „Erwerb- und Sorgemodell“, das kurze Vollzeit bzw. lange, existenzsichernde Teilzeit für alle ermöglichen würde, um Erwerbs- und Sorgearbeit zu verbinden. Bei der derzeitigen Arbeitsteilung steckten vor allem Frauen häufig zurück, wenn es um eigene Karrierewünsche geht.
Mit im Gepäck hatte die Wissenschaftlerin auch neue eigene Forschungsergebnisse zur Bewertung von Arbeit in sozialen Dienstleistungsberufen. Die zentrale Erkenntnis: Frauenarbeit werde auch deshalb systematisch schlechter bezahlt, weil sie »Frauenarbeit« sei. Festgestellt wurde dies mit dem »Comparable Worth Index«, der in einem von ihr gemeinsam mit Sarah Lillemeier und Christina Klenner durchgeführten Projekt entwickelt wurde. Auch die anspruchsvollen Berufe im Gesundheitswesen seien derzeit viel zu gering bewertet. »Tarifverträge können diese Effekte abmildern«, so Klammer weiter. Um die längst überfällige Aufwertung der Dienstleistungsberufe zu erreichen, sollten die neuen Forschungsergebnisse argumentativ genutzt werden. Auch stellten die Teilnehmerinnen in der Diskussion heraus, dass Tariffragen am Ende immer Machtfragen seien und es deshalb wichtig sei, dass sich Frauen organisieren und sich holen, was ihnen zustehe. Ebenso sollten auch die gestiegenen Anforderungen in den Berufen – unter anderem infolge von Prozessen der Digitalisierung – stärker abgebildet werden. Um eine Annäherung an die Standards des dualen Systems und Aufstiegsmöglichkeiten zu erreichen, sei nicht nur eine Verbesserung der Rahmenbedingungen nötig, sondern auch die Reform der Berufsprofile. »Wir brauchen einen neuen Konsens zu den sozialen Dienstleistungsberufen«, so Klammer. Denn die Arbeit mit Menschen sei der Bereich, der für Wohlstand in der Gesellschaft sorge.
Ein wichtiger Baustein für eine Gesellschaft mit gleichen Verwirklichungschancen für Frauen und Männer sind Umfang und Verteilung von Arbeitszeit. »Arbeitszeiten, die zu mir passen« – dieser Thematik widmete sich daher Karin Schwendler in ihrer Rede. Die Leiterin des Bereichs Frauen- und Gleichstellungspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung machte deutlich: »In ver.di führen wir die Debatte um Arbeitszeit schon intensiv. Auch das Konzept einer ´kurzen Vollzeit für alle` wird lebhaft diskutiert.« Die ver.di-Frauen im Bundesfachbereich kündigten an, dass sie sich der Debatte um Arbeitszeitverkürzung in den kommenden vier Jahren noch stärker widmen wollen. Sie verabschiedeten einen entsprechenden Antrag, der im April 2019 auf der Bundesfachbereichskonferenz weiter beraten werden soll. Dafür wolle die AG Frauen- und Gleichstellungspolitik im Bundesfachbereich eigene Vorschläge und Ideen zu entwickeln. Klar sei dabei auch: Gute Bezahlung und attraktive Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen erhalten wir Frauen nicht, wenn wir nett sind. Wir werden sie nur bekommen, wenn wir uns Respekt verschaffen.
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