Ob Aufwertung oder Entlastung: Die Kolleginnen drängen auf Verbesserungen. Und machen auf der Frauenbereichskonferenz klar, dass sie es selber in die Hand nehmen müssen.
Mehr verdienen, weniger arbeiten und ganz dringend Entlastung: Die Kolleginnen aus den Bereichen Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft wollen nicht auf bessere Zeiten warten. Sondern: Gemeinsam die Zukunft gestalten. So lautet das Motto der ver.di-Bundesfachbereichskonferenz der Frauen in Berlin. Und sie packen es längst an. Wer in der aktuellen Tarifrunde für den öffentlichen Dienst in Bund und Kommunen bereits gestreikt habe, will Sylvia Bühler, Leiterin des Bundesfachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft, von den über 100 Teilnehmerinnen wissen. Viele Hände gehen hoch. „Wow“, sagt sie und klatscht. Später fragt sie, wer im Saal mit dafür gekämpft habe, an 24 Kliniken – teils mit langen Streiks – Tarifverträge für Entlastung durchzusetzen. Wieder melden sich viele Kolleginnen. „Super!“ Die Gewerkschafterin strahlt. Das bringt auf den Punkt, was auf der Konferenz am 17. und 18. Februar immer wieder betont wird: Veränderungen können Frauen nur selber bewirken.
„Wir müssen deutlich mehr Haltung nach außen zeigen und nach vorne preschen“, fordert die Krankenschwester Heike Strohmeyer aus Dortmund. „Das wird keiner sonst für uns tun.“ Und auch Syndia Paul-Beer, Medizinisch-Technische Assistentin aus Aschaffenburg, ist überzeugt: „Das nimmt uns niemand ab.“ Mut macht ihnen die Direktorin des Forschungsschwerpunkts Arbeit und Wandel am Institut Arbeit und Technik, Michaela Evans, in ihrem Impulsvortrag. Auf der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Zukunft der Arbeit – wie wollen wir Arbeit in unseren Branchen gestalten?“ betont sie die große Bedeutung der Berufe für das Gemeinwesen: „Die Gesellschaft würde uns um die Ohren fliegen, wenn es eure Arbeit nicht gäbe.“ Die Berufe im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen seien von hohem Frauenanteil geprägt. Und sie hätten allen Grund, selbstbewusst aufzutreten. „Eure Berufe sind am Puls der Zeit." Auch für die Wirtschaft seien die Branchen enorm wichtig: Wo sollen die Fachkräfte herkommen, wenn es keine Kitas, Schulen und Hochschulen gibt? Wer sorgt für Innovation? Wer kümmert sich um Kinder, kranke und pflegebedürftige Menschen?
Trotzdem gelte immer noch: Je höher die Stufe auf der Karriereleiter, desto weniger Frauen finden sich selbst in frauendominierten Branchen, kritisiert Michaela Evans. Beim Anteil von Frauen an Professuren liege Deutschland unter dem EU-Schnitt. „Und selbst wenn sie es schaffen, Professorinnen zu werden, verdienen sie weniger als Männer.“ Die Wissenschaftlerin fordert mehr „Empowerment“ von Frauen. Michaela Evans ist überzeugt: „Jetzt ist viel durchsetzbar.“ Der Stellenwert von Kita oder Pflege sei nicht immer allen so bewusst – und auch auf der politischen Agenda so präsent gewesen. Die Arbeitsexpertin fordert Frauen auf, die eigene Wirkmächtigkeit zu erhöhen. Konkret heißt das: „Sich einmischen auf der betrieblichen Ebene.“
Auch Nermin Fazlic aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht aktuell gute Chancen für Veränderungen. Die Sichtbarkeit der Berufe sei eine ganz andere als noch vor ein paar Jahren, meint der Leiter der Grundsatzabteilung und derzeit mit der Wahrnehmung der Aufgaben von Staatssekretärin Lilian Tschan betraut. Zudem komme ihnen die Debatte über den Fachkräftemangel zugute. „Das ist eine Riesenchance.“ Damit hätten die Beschäftigten gute Argumente, mehr Lohn und bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Schließlich werde es sonst schwer, Menschen für die Berufe zu begeistern – und zu halten, sagt Nermin Fazlic. „Jetzt ist ein Fenster da.“ Das gelte es zu nutzen.
Sylvia Bühler aus dem ver.di-Bundesvorstand verweist auf die Tarifrunde im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst, die erneut einen wichtigen Schritt bei der Aufwertung der Berufe gebracht hat, und auf die Arbeitskämpfe für mehr Personal und Entlastung an den Unikliniken. Die Beschäftigten hätten schon viele Verbesserungen durchgesetzt. „Die Instrumente haben wir“, sagt die Gewerkschafterin. „Die Lösung liegt auch bei uns.“ Mit Blick auf die extrem hohe Inflation fordert ver.di in der aktuellen Tarifrunde bei Bund und Kommunen 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens 500 Euro mehr pro Monat. „Wir bereiten uns gerade mit Hochdruck auf eine Auseinandersetzung vor, für den Fall, dass die Arbeitgeber kein ordentliches Angebot machen“, betont sie.
Im Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft sind 450.000 Mitglieder organisiert. Fast dreiviertel davon sind Frauen. Sylvia Bühler sagt, dass sie sich selbst stärken, wenn sie aktiv werden. „Es geht nicht darum, dass uns jemand Brosamen abgibt“, betont sie. Sondern sich selber zu ermächtigen. Die Gewerkschafterin zeigt auf die Aufkleber, die auf allen Tischen liegen: „Wenn wir Frauen die Arbeit niederlegen, steht die Welt still“, steht darauf. Lauter Applaus.
Auf der Konferenz machen viele Frauen klar, dass sie auch Entlastung durch kürzere Arbeitszeiten bei vollem Lohnausgleich für notwendig halten. Sie klagen darüber, dass sie extrem erschöpft von der hohen Arbeitsbelastung sind. Die Leiterin des Referats Geschlechterforschung am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI), Yvonne Lott, verweist in der Diskussionsrunde auf eine Umfrage: Darin sprechen sich 80 Prozent der Beschäftigten für die Vier-Tage-Woche aus. Als Grund führten so gut wie alle von ihnen an, mehr Zeit für sich selbst haben zu wollen. Den Job bekomme man hin, auch die Kinder gewuppt, so Yvonne Lott, „aber wo bleibe ich?“ Sie ermuntert die Kolleginnen aus dem Fachbereich: „Bleibt da dran!“ Im Interesse der Selbstfürsorge.
Genau das tun gerade die Beschäftigten aus drei Unikliniken in Ostdeutschland. Der Frust sei groß darüber, dass sie immer noch 40 Stunden pro Woche arbeiten müssten, sagt Susanne Kipping aus Jena, während die Beschäftigten der 16 Unikliniken im Westen nach dem Tarifvertrag der Länder auf 38,5 Stunden kommen. Über 32 Jahre nach der Deutschen Einheit. Das Unrecht gelte es zu beenden. „Wir finden, das passt irgendwie alles nicht mehr zusammen“, fügt Catharina Lobenstein aus Greifswald hinzu. Deshalb vernetzten sich die Beschäftigten der drei Unikliniken und planten gemeinsame Aktionen. So feierten sie in jeder der Städte am 16. Dezember symbolisch Silvester. „Weil wir da eigentlich schon Feierabend hätten.“ Innerhalb von zwei Monaten sammelten sie über 6.000 Unterschriften für ihre Forderung. „Ein sehr starkes Zeichen“, findet Isabelle Opalka aus Rostock. Bisher wollte die Politik nicht mit ihnen reden. „Wir sorgen dafür, dass sich das ändert.“ Bis zur Tarifrunde der Länder im Herbst wollten sie für Gerechtigkeit sorgen. Und in der Tarifauseinandersetzung auch direkt die Kraft nutzen, die sie jetzt in den Kliniken aufbauten.
Wie viel es noch zu tun gibt, macht Alexa Wolfstädter, bei ver.di zuständig für Frauen- und Gleichstellungspolitik, in ihrem Vortrag klar: Frauen verdienen laut Statistik im Durchschnitt immer noch 18 Prozent weniger als Männer, leisten zudem viel mehr Sorgearbeit – unbezahlt. „Das wirkt sich auch auf die Rente aus“, gibt Alexa Wolfstädter zu bedenken. Im Schnitt erhielten sie nur halb so viel Rente wie Männer. Altersarmut sei ein großes Thema. Die Gewerkschafterin warnt davor, dass Frauenthemen in Zeiten von Krieg und Krisen in den Hintergrund gerieten. Stets würden sie auf bessere Zeiten verwiesen. Doch Alexa Wolfstädter ist überzeugt: „Nur in den Frauen liegt die Lösung.“
Die Konferenzleitung schließt die zweitätige Tagung mit den Worten: „Seid vernünftig, verlangt das Unmögliche – und wenn es holprig wird, schnallt euch an.“ Die Frauen im Saal klatschen laut.
Rund 20 Jahre lang haben die Frauen im ver.di-Bundesfachbereich in offenen Strukturen gearbeitet. Jetzt gehen sie einen neuen Weg – und bilden einen eigenen Frauenvorstand im Bundesfachbereich. 76 Prozent der Teilnehmerinnen sprachen sich auf der Konferenz dafür aus. Aus jedem Landesbezirksfachbereich werden zwei Frauen ins Gremium entsendet, die für vier Jahre diese Aufgabe übernehmen. Außerdem gibt es zwei Mandate für die Jugend und eines für Seniorinnen. Insgesamt umfasst der Frauenvorstand 23 Mitglieder, plus Stellvertreterinnen. Einmal pro Jahr soll das Treffen des Frauenvorstands zur gezielten Beratung von aktuellen Fragenstellungen unter Beteiligung interessierter Kolleginnen stattfinden.
veröffentlicht/aktualisiert am 27. Februar 2023
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